DNase (Pulmozyme)

Goldene (D)Nase?

Seit einiger Zeit gibt es da ein Medikament, von dem viel geredet wird. Meine Neugierde hat mich auf ein paar Dinge gebracht, die ich erstaunlich finde. Ich lade Sie ein zu einem Gedankengang, der bei einer Fachinformation der Firma Roche AG zu Pulmozyme® beginnt:

„Der Wirkstoff in Pulmozyme® ist Dornase alfa, das der aus Urin isolierten humanen DNase entspricht. Pulmozyme® ist eine sterile, klare, farblose Inhalationslösung und wird mit Hilfe eines Düsen- Verneblungsgerätes angewendet. (...) Die tägliche Anwendung von Pulmozyme® führt zu einer Verbesserung der Lungenfunktion und ist angezeigt zur Behandlung der cystischen Fibrose (Mukoviszidose)...“ (Hervorhebungen vom Autor). Dornase alfa verflüssigt das CF-Sputum, in dem es die im Sputum vorhandenen langen DNA-Fäden zerstückelt (nach Biodrugs 1997 Dec; 8(6):439-445). Als nächstes schauen wir in den Bericht „Qualitätssicherung Mukoviszidose“ von 1997 (Seite 24), und sehen, dass 27,8 % von 3442 erfassten Patienten (also 957) DNase inhalieren. Jeder dritte Patient in Deutschland (von den Erwachsenen sogar 36 %) inhaliert also Pulmozyme®. Danach könnte man vermuten, dass die DNase-Inhalation als Therapieform ähnlich etabliert ist wie die ganzjährige Inhalation von Antibiotika (29,7 %).

Dann habe ich mir die Preise erfragt. In der Apotheke kostet eine Monatspackung mit 30 Ampullen (das Zeug wird üblicherweise einmal am Tag inhaliert) 2900 DM (Anmerkung: Stand 1998. 2013: 1145,23 €). Das ist teuer, denn die Herstellung kostet angeblich nicht viel.

Im Juli 98 erhielt ich dann zufällig den CF-Report von Roche Ausgabe 3. Die Firma finanziert mit einem Riesenaufwand eine Datenerhebung (das europäische epidemiologische Register für CF, ERCF) und berichtet hier über einige Ergebnisse. M.E.Hudson beantwortet auf Seite 5 die Frage: „Wie wirkt sich die Inhalation von Pulmozyme® aus?“ Darunter ist eine Grafik abgedruckt, aus der man Folgendes ablesen kann: Man nahm eine Gruppe von 613 CF-Patienten mit einer Lungenfunktion von 40 bis 70 %. Genauer: Ihr FEV1-Wert, also die Menge der in einer Sekunde ausgeatmeten Luft war zwischen 40 und 70% des zu erwartenden Wertes eines gesunden Menschen. Von dieser Gruppe erhielten 190 Leute Pulmozyme® zum Inhalieren, die anderen nicht. Nach einem Jahr hatte sich der FEV1-Wert in der Gruppe ohne Behandlung durchschnittlich um 4,5 % verbessert, und die Verbesserung in der behandelten Gruppe lag durchschnittlich bei 6,3 %. Der Unterschied liegt also bei 1,8 %!

Ich weiß natürlich vieles nicht. Es gibt sicherlich Patienten, die von der Inhalation mehr profitiert haben (ich kenne auch eine Patientin, die von 25 % berichtet). Es gibt auch andere Statistiken, bei denen der Vorteil größer ist und sich der Wert ohne Behandlung verschlechtert (wenn man z.B. alle Patienten zusammennimmt). Es kann auch sein, dass der Vorteil woanders liegt, dass man z.B. weniger oft ins Krankenhaus muss oder weniger Antibiotika braucht. Und ich will nicht missverstanden werden: Ich gönne das Medikament jedem Patienten, dem es hilft!

Als Physiker bin ich aber sehr skeptisch gegenüber Statistiken. Mit dieser Statistik wird begründet, dass die jährlichen Kosten von z.Zt. 957 x 2900 = 2,7 Mio. DM gerechtfertigt sind. Mit Statistik kann man auch nachweisen, dass Leute, die Hüte tragen, mit signifikant größerer Wahrscheinlichkeit an Lungenkrebs erkranken werden als solche, die keine Hüte tragen (Doris Marszk in Nature 04/98). Dass die Verbesserung des FEV1 von 2 % durch das Pulmozyme ® verursacht wird, ist erstmal eine Theorie. Wenn man nicht aufpasst, kann man leicht Fehler machen. Der Nobelpreisträger Richard P.Feynman schildert den Effekt so: „In der Südsee sahen bestimmte Völker während des zweiten Weltkrieges, dass viele Flugzeuge mit vielen brauchbaren Gütern landeten, und nun möchten sie, dass das wieder geschieht. So sind sie übereingekommen, Landebahnen anzulegen, seitlich der Landebahnen Leuchtfeuer anzuzünden, eine Hütte aus Holz zu bauen, in der jemand mit dem hölzernen Apparat sitzt, der wie ein Funkgerät aussieht und in dem Bambusstöcke als Antennen stecken – das ist der Fluglotse – und sie warten darauf, dass Flugzeuge kommen. Die Form ist perfekt. Es sieht genau so aus, wie es früher aussah. Aber es funktioniert nicht“ (Sie belieben wohl zu scherzen, Mr. Feynman, Piper 2290).

Mir sind dazu einige Dinge aufgefallen:

1. Der Patient merkt, was er inhaliert, d.h. die Studie kann nicht doppelblind durchgeführt werden. Was mich interessiert: Kann nicht alleine das Bewusstsein, ein sehr teueres, topaktuelles und hocheffektives Medikament zu bekommen, diesen Unterschied von 2 % bewirken? Der Mensch ist keine Maschine, und der Körper reagiert ohne unser Zutun auf die Umwelt. Ich kenne einen CF-Patienten, der hatte ernsten Streit mit seiner Partnerin, und der FEV1 sank innerhalb von zwei Jahren von 90 % auf 55 %. Dann beschloss er, sich von ihr zu trennen, nahm eine eigene Wohnung, lebte einige Zeit als Single, lernte ein Mädchen kennen und heiratete es nach einem weiteren Jahr. In diesen drei Jahren stieg sein FEV1 von 55 % auf 110%, sein FEV1 wuchs also „psychosomatisch“ jährlich um 26 %, er wurde wieder gesund! Er inhaliert übrigens nicht Pulmozyme®.

2. Meine Lungenfunktion wurde in den letzten 10 Jahren ca. 40mal gemessen. Nie war ein Arzt dabei, obwohl die Ärzte mit diesen Messungen Statistik betreiben. Immer habe ich mehrmals gepustet, und bei jedem Versuch kam ein anderer Wert heraus. Wegen des Hustens sind die Abweichungen beträchtlich. Es wird einfach der beste Wert ausgedruckt, die anderen Messungen sieht der Arzt nicht. Ich habe auch festgestellt, dass die Anzahl der Versuche vom Wert abhängig ist (wenn der letzte Wert unterschritten wurde, muss ich´s noch mal probieren). Kann es sein, dass der Patient sich mehr anstrengt, wenn er ein Jahr für 30.000 DM inhaliert hat? Oder kann es sein, dass die Assistentin eine Verbesserung erwartet und deshalb mehr Messungen macht als bei den Patienten ohne Behandlung? Die 2 % können irgendwoher kommen! Man könnte fordern, dass jeder Patient kontrolliert wird, ob er persönlich profitiert. Aber wie geht das? Selbst wenn sein FEV1 um einige %-Punkte absinkt, könnte es leicht sein, dass er ohne Pulmozyme® noch mehr abgesunken wäre. Man kann es also nicht kontrollieren.

3. Könnte man mit 30.000 DM pro Patient und Jahr nicht Sinnvolleres anfangen? Eine Klimakur kostet nur einen Bruchteil, erhöht den FEV1 evtl. im Durchschnitt auch um 2% und macht dazu mehr Spaß als zusätzliches Inhalieren. Nur zahlen die Kassen bisher eine Klimakur nicht (hier fordern sie den Nachweis, dass es was bringt). Wenn man sieht, wie sich die meisten Patienten im Beruf abrackern und für die aufwendige Therapie Abstriche bei Freizeit, Familie und Hobbys vornehmen müssen, wäre evtl. auch eine direkte Auszahlung der 3000,- DM (also eine Rente) genauso wirksam wie das Pulmozyme®. Wer nicht arbeiten muss, hat mehr Zeit, macht mehr Sport, nimmt an Gewicht zu usw. Ich sehe nicht ein, warum die Erwerbsunfähigkeitsrenten zusammengestrichen werden, so dass wir Patienten zum sprichwörtlichen „Arbeiten bis zum Umfallen“ gezwungen sind, und auf der anderen Seite sitzt Geld locker.

4. Für Firmen ist der riesige Aufwand bei der Datenerhebung nur für ein teueres Medikament interessant. Kann es sein, dass damit billige Therapieansätze (z.B. die hypertone, 5,6 %ige Kochsalzlösung zum Inhalieren) aus mangelndem wirtschaftlichen Interesse weniger Beachtung finden?

Ich finde, wir sollten folgende Fragen im Auge behalten und diskutieren:

Standpunkt von Dipl.Phys.Stephan Kruip
(zuerst gedruckt in Muko-aktuell 11/1998)
Mukoviszidose-Patient und Vorstandsmitglied des Mukoviszidose e.V.
www.familie-kruip.de

Ergänzungen sechs Jahre später (11/2004):